Die Filmstarts-Kritik zu Kandahar (2024)

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Kandahar

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,0

solide

Kandahar

Gerard Butler in einem erstaunlich komplexen und bitteren Actionfilm

Von Jochen Werner

Die Lage in der arabischen Welt ist kompliziert, auch wenn sie US-Spionen wie Tom Harris (Gerard Butler) in Ric Roman Waughs „Kandahar“ im Grundsatz zunächst einmal recht übersichtlich erscheinen mag. Wir begegnen Harris erstmals, als er im Auftrag der CIA einen Computervirus in eine unterirdische iranische Nuklearanlage einschleust, die sich wenig später in einer eindrucksvollen CGI-Explosion selbst in Schutt und Asche legt. Ein Triumph der westlichen Welt gegen den Schurkenstaat, die Fronten scheinen für den Protagonisten wie für das Publikum klar abgesteckt.

Dumm nur, dass infolge des Kidnappings der investigativen Journalistin Luna Cujai (Nina Toussaint-White) Harris’ Identität auffliegt, noch bevor er seine nächste Mission im afghanischen Herat ausführen oder in die USA ausreisen kann. In Begleitung seines afghanisch-amerikanischen Übersetzers Mo (Navid Negahban) findet sich Harris plötzlich auf der Flucht durch Afghanistan Richtung Kandahar wieder – gejagt von unterschiedlichsten Fraktionen mit unterschiedlichsten Interessen...

Die Filmstarts-Kritik zu Kandahar (1)

Der enttarnte Spion Tom Harris (Gerard Butler) und sein Übersetzer Mo (Navid Negahban) müssen sich einmal quer durch die Wüste schlagen, um überhaupt noch eine Chance zu haben.

Als offensichtlichster Gegenspieler wird zunächst der iranische Geheimpolizist Asadi (Bahador Foladi), der die entführte Journalistin verhört und sich dann im Auftrag seines Regimes an die Fersen der Flüchtigen heftet, aufgebaut. Auch der pakistanische Geheimdienst verfolgt seine eigene Agenda – in Gestalt des Agenten Nassir (Ali Fazal), dem wir erstmals begegnen, während er in einer Besprechung mit einer Gruppe ranghoher, anscheinend allesamt auf seiner Lohnliste stehender Taliban heimlich tindert. Überhaupt besteht Nassirs größte Sehnsucht darin, den Wüsteneien seiner Heimat endgültig gen Westen zu entfliehen und in Europa eingesetzt zu werden – in London oder Paris.

Zwei Amerikaner auf der Flucht quer durch Afghanistan, verfolgt von Iranern und Pakistanis, dazwischen die Taliban, der IS, und hier und da auch mal ein unabhängiger Warlord, der prinzipiell für jeden arbeitet, der ihm nützt – das klingt und ist kompliziert, wird aber von Regisseur Ric Roman Waugh, der mit Hauptdarsteller Gerard Butler bereits den eindrucksvollen Katastrophenfilm „Greenland“ gedreht hat, im Prinzip eher geradlinig inszeniert. Die Bewegung des Plots wird von der langen Fahrt durch die Weiten Afghanistans in Gang gehalten – im Kern ist „Kandahar“ ein Road Movie, nur dass die Fahrt immer wieder von verschiedenen Akteuren in einer Gemengelage unterbrochen wird, die sich jedenfalls für seinen amerikanischen Protagonisten und dessen schwarz-weiße Weltsicht als zunehmend unübersichtlich erweist.

Eine erstaunlich komplexe Gemengelage

Eine der schönsten Szenen führt Harris und Mo in das Camp eines Warlords, den Harris als Verbündeten und Bruder begrüßt, während Mo in ihm den Auftraggeber des Mordes an seinem Sohn und den Verantwortlichen für tausende weitere Tote erkennt. Überhaupt geht es in „Kandahar“ immer wieder darum, wie das westliche Freund-Feind-Denken erodieren, wie Gewissheiten verloren gehen, wenn man erst einmal selbst zwischen die Fronten gerät. Und das, obgleich sich der buchstäbliche Überblick in Form von Drohnenaufnahmen, die die gesamte Flucht von Harris aus der Vogelperspektive beobachten und immer wieder von einem CIA-Team in einem Hauptquartier irgendwo im Nirgendwo untätig betrachtet werden, als Beobachterperspektive durch den kompletten Film zieht. Auf dem Boden jedoch, inmitten des Gemenges, stellt sich die Lage mitunter völlig anders dar. So denkt man zumindest bis kurz vor Schluss, wenn ein ziemlich böses Finale dem Plot noch einmal einen neuen Twist gibt und sich vieles, was zuvor geschah, als schlussendlich völlig sinnlos und vergebens erweist...

Man hätte diesen recht klugen und komplexen Stoff durchaus als einen klassischen Spionagethriller inszenieren können – eine Entscheidung, die Regisseur Waugh aber so nicht trifft. Formal erinnert „Kandahar“ eher an klassische Ein-Mann-Armee-Actionfilme – und vermag es so durchaus, eine Nostalgie für jene Zeit zu wecken. Gut, damals wäre „Kandahar“ vermutlich eine halbe Stunde kürzer geworden, ohne dass irgendwer hätte sagen können, was eigentlich fehlt. Aber zu lang wirkt er auch mit seinen durchaus beträchtlichen 119 Minuten nicht, das etwas getragene Tempo des Films passt im Gegenteil sogar recht gut zur Melancholie seiner Protagonisten. Die verkörpert nicht nur Butler, der hier mit tief zerfurchtem, vollbärtigem Gesicht vielleicht seine erste echte Altersrolle spielt, nein, auch all seinen Wegbegleitern und Widersachern haftet eine merkwürdige Traurigkeit an – ganz egal, ob sie in dieser aus den Fugen geratenen Welt nun undercover gegen das System agieren oder ob sie, eher voller Ekel als mit Vergnügen, dessen Drecksarbeit erledigen.

Die Filmstarts-Kritik zu Kandahar (2)

Der pakistanische Agenten Nassir (Ali Fazal) hat eigentlich überhaupt keinen Bock auf die Wüsten-Hatz – lässt sich aber durch die Aussicht auf einen Job in Europa überzeugen.

Die sehr klaren Bildwelten von „Kandahar“, in denen stets alles, was da ist, an der Oberfläche stattfindet, treten somit immer wieder in einen durchaus interessanten Kontrast zu dieser Tiefenmelancholie, und mancher wird Waughs Film eine Art Unentschlossenheit vorwerfen – den Unwillen, sich zwischen ernsthaftem Spionagethriller und geradlinigem B-Actionfilm zu entscheiden. Aber man kann gerade dieses Wechseln zwischen den Formen und den Genres auch als eine spannende, mutige ästhetische Entscheidung betrachten – und die spürbare Zerschossenheit des so entstandenen Filmes als eine Form, die der Brüchigkeit der Welt, die er porträtiert, durchaus entspricht.

Fazit: Gerard Butler als enttarnter US-Agent auf der Flucht durch Afghanistan! Was zunächst klingt wie ein äußerst geradliniges Action-Starvehikel, entpuppt sich als deutlich komplexerer und brüchigerer Film. Weder im Genre des seriösen Spionagethrillers noch im Actiongenre geht „Kandahar“ so ganz auf – und gerade diese Position zwischen den Stühlen kann man durchaus interessant finden.

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